Weinen und Lachen ...


Staub des Vaterlandes


"Für Dinge, die große Volkskreise aufs Tiefste bewegen, haben die 'Landesväter' nur einige Minuten Zeit; 'höheren' Interessen mussten sie ihre Zeit widmen, was schert sie die Not und Sorge des Volkes? Wozu hat man denn Polizei und Militär? Wer sich gegen diese für die Drohnen und Volksbedrücker ach so 'göttliche' Weltordnung auflehnt, der mag den Staub des Vaterlandes von seinen Schuhen schütteln ...." 


So schreibt der Sölder Arbeiterführer August Siegel in den Erinnerungen an seinen "Lebenskampf" im Kaiserreich Wilhelm des ll. .... Siegel hatte schon Ende der 1800er Jahre entschlossen den Staub des Vaterlandes von seinen Schuhen geschüttelt und musste inzwischen in schottischen Kohlengruben schuften. Oft wusste er nicht, wie Frau und  Kinder vorm Verhungern zu bewahren. Erst nach nahezu 30 Jahren Exil konnte er 1919 aus der Verbannung wieder nach Dortmund zurückkehren ... 



 

 

 

 


Majestät, der Schwadroneur
nennt der SPIEGEL Kaiser Wilhelm II. und berichtet weiter: "Die Untertanen machten sich auch lustig über die Marotten Seiner Majestät, der am Tage bis zu sechsmal die Uniform wechselte (Alle Tage Maskenball!), leidenschaftlich gern Holz hackte und stundenlange Monologe über alles und jedes hielt." 

 


 

Das mittellose, vielfach notleidende Volk wurde mit Härte, Willkür, sogar Brutalität regiert, während die gesellschaftlich Begünstigten und die Reichen die Hierarchie und ihre Privilegien für sich um jeden Preis erhalten wollten,

  •   z.B. die Möglichkeit kostspieliger Vergnügen wie Seereisen, Kostümfeste, Flottenparaden und -bälle, Jagden (Wilhelm2, "der Herre Kaiser",  brachte es als vielschießender Jäger auf den Abschuss von  mindestens 47 443 Stück Wild!),  

  • und das 3-Klassen-Wahlrecht ... 

... ein Zensus-Wahlsystem, das die Gewichtung der Stimmen eines Wählers von dessen Steueraufkommen oder Besitz abhängig machte. 

Es diskriminierte die ärmeren Bevölkerungsschichten, und das waren 82 %! Um überhaupt wählen zu können, musste man über ein bestimmtes Mindestvermögen verfügen. 

Die Einteilung in 3 Klassen brachte es mit sich, dass ein Wähler der ersten Klasse z.B. das 17,5-fache Stimm-Gewicht gegenüber einem Wähler der dritten Klasse hatte .

                                                                                                                                          

3-Klassen-Weihnachten   
"Meine Fresse, wat is dat Christkind nobel geworden! Jezz darf et zu uns Sozis auch nich mehr kommen!" ...     

(Abb. aus "Dieses Jahr schenken wir uns nichts...", Klartext Verlag)                                                     

 


 

Als es 1914 zum 1. Weltkrieg kommt, in dem sich alle großen europäischen Nationen gegen Deutschland richten, ist der Kaiser nur noch ein Statist, der jagen geht, während seine Soldaten in den Schützengräben sterben. 

1918 wird er zur Abdankung gezwungen und flieht nach Holland, hört aber nicht auf, Pläne für eine erneute Thronbesteigung zu schmieden. Er vertändelt im niederländischen Doorn seine Tage als Besitzer "eines der ungeheuersten Vermögen" (Gerhard Jaeckel und Urbes Verlag, Die deutschen Kaiser) ... , ausstaffiert mit 60 - oder waren es 120 ? - Waggonladungen voller standesgemäßem Prunk und Plunder aus der Heimat. 

Er stirbt viele Jahre darauf im Exil (1941) als »brillanteste Fehlbesetzung der Geschichte", wie sein englischer Cousin König Edward VII. später sagen wird. (Text nach SPIEGEL,  dpd, Gemälde Wilhelm2 www.preussenweb.de)

 

O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in'n Sack gehaun!

Abb. aus "Dieses Jahr schenken wir uns nichts...", Klartext Verlag


 

„War ich ein linker Spinner?“ 

fragte sich der Publizist Walter Dirks
(1901-1991) am Ende seines Lebens. Er entstammte einer katholischen Kaufmannsfamilie aus Hörde, einer Ortschaft in der unmittelbaren  Nachbarschaft Aplerbecks, dem Heimatort Pauls. Dirks und Paul Marnach waren im gewissen Sinne Zeitgenossen und Seelenverwandte, obwohl sie sich wahrscheinlich nie begegnet sind. 

Ein bedeutsames Schlüsselerlebnis für Dirks waren berittene Polizisten der wilhelminischen Zeit, die auf Ruhrpottarbeiter einprügelten. 

Sein  literarisches und journalistisches Wirken wurzelt in einer ebenso entschieden sozialistischen wie entschieden christlichen Überzeugung .

 

 

 

 

 

 

 

"Wat, mitti Aufrührers wolln Se sich verbrüdern? Dat hätt uns grad noch gefehlt!"

Abb. aus "Dieses Jahr schenken wir uns nichts...", Klartext Verlag

 

 


 


Paul Marnach
wurde das Leben in Deutschland so schwer gemacht, dass auch er 1911 den Staub des Vaterlandes von seinen Schuhen schüttelte - sicher kein rascher Entschluss! - und nach Amerika auswanderte. 

Im wilhelminischen Kaiserreich war Paul wegen seiner Weltanschauung - "Deutschland wird 'ne Republik!" - zu den "Sozis", den "vaterlandslosen Gesellen" gezählt worden. Sie galten als "sittenlos und umstürzlerisch", als kriminell (vergl. Kapitel "War Paul ein Sozi?"). 

 

„War ich ein linker Spinner?“ 

so mag sich auch Paul am Ende seines jungen Lebens gefragt haben. Er hätte daheim ein gutes und bequemes Dasein gehabt. Erstaunlich, dass er sich offensichtlich auf die Seite der sozial Schwachen stellte. 

 


 

Bert Brecht: An die Nachgeborenen 

(...) In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung 
Als da Hunger herrschte. 
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs 
Und ich empörte mich mit ihnen. 
So verging meine Zeit 
Die auf Erden mir gegeben war. 


(...)
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut 
In der wir untergegangen sind 
Gedenkt 
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht 
Auch der finsteren Zeit 
Der ihr entronnen seid. 

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd 
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt 
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung. 
Dabei wissen wir doch: 
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit 
Verzerrt die Züge. 
Auch der Zorn über das Unrecht 
Macht die Stimme heiser. Ach, wir 
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit 
Konnten selber nicht freundlich sein. 

Ihr aber, wenn es soweit sein wird 
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist 
Gedenkt unsrer 
Mit Nachsicht. 

 

 


< Friedensreich

Wolfgang meint >

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