1943-45: In der Fremde


 

Nich'm alten Mann inn Bart spucken ...


Immer, wenn wir dann wieder in unserem lieben "Pott" ankamen, waren wir auch von hilfsbereiten Menschen, meist "Kumpels" umgeben, die meiner Mutter den Koffer schleppen halfen, mich trösteten, auf dem Arm trugen, wenn ich übermüdet oder krank war. (Das Wort "Kumpel" ist genauso wie Kumpan abgeleitet von "cum pane": der mit mir das Brot teilt..) 

Ein Loblied auf die Ruhris, die herzlichen Menschen aus dem Melting Pot Ruhrgebiet! Die Frauen sind lebenstüchtig auch in schwierigen Situationen, direkt und treffend in ihren Sprüchen ("Nee, nee, nichm alten Mann inn Bart spucken un sagen: Opa, et regnet!"). Die Männer, damals noch unter Tage arbeitend, angewiesen auf den Kumpel an ihrer Seite, auf seine Verlässlichkeit , sind selbst genauso treu und zuverlässig, ohne viel Aufhebens. Sie haben ein goldenes Herz, was mir nach den Kriegsjahren in der Fremde so richtig klar wurde.

Richard von Weizsäcker, ehemaliger deutscher Bundespräsident, erzählt über den Anfang seiner Berufslaufbahn in seinen "Erinnerungen" (Vier Zeiten, 1999, Siedler Verlag Berlin). Die Mannesmann AG machte ihm damals das Angebot, als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter beim Bergbau dieses Großunternehmens zu arbeiten. 

Er nahm die Einladung an, wegen seines "Wunsches nach Unabhängigkeit und nach Erweiterung des eigenen Horizonts." Er begann mit der "kargen monatlichen Vergütung von DM 120 nebst einem Tagegeld von DM 6 für jeden in Gelsenkirchen verbrachten Arbeitstag. Dort lagen die Steinkohlezechen des Unternehmens, und neben dem Schalker Markt befand sich mein Arbeitsplatz.

Als ich fast drei Jahrzehnte später, inzwischen als Vizepräsident des Deutschen Bundestages, wieder einmal zu Besuch beim Bergbau in Gelsenkirchen war, empfing mich der Betriebsrat der Zeche nach einer wohlgelungenen Grubenfahrt mit einem Gutschein für DM 6 als Tagegeld, weil ich nach meinem alten Arbeitsverhältnis darauf einen Anspruch hätte. Das war eine herzliche, für den Pütt typische Geste mit pädagogischem Hintersinn.

In der Stadt Gelsenkirchen hatte ich es mit den liebenswertesten Menschen zu tun. Schräg gegenüber einer großen Schachtanlage wohnte ich in der Bismarckstraße als Untermieter bei einer Steigerswitwe, die mich mit der menschenfreundlichen und unaufgeregten Atmosphäre des Ruhrgebiets vertraut machte."

Danke, Richie! Das ist mir aus der Seele gesprochen.

 

Foto oben aus Homo puettensis, 
Foto rechts aus Richard von Weizsäcker: "Vier Zeiten", 1999, Siedler Verlag Berlin
 


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