1945: Gegen Kriegsende |
Eine deutsche Tragödie
Flucht und Vertreibung Der Winter 1944/45 zieht früh und in aller Härte ein. Zu Hunderttausenden fliehen deutsche Zivilisten bei eisiger Kälte aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern. Bahnverbindungen sind zerstört. Kraftfahrzeuge hat nur die Wehrmacht. Die Menschen fliehen zu Fuß, mit Handwagen oder Pferdefuhrwerken. Trinkwasser und Lebensmittel gibt es kaum. Kleinkinder, Alte und Kranke sind die ersten Opfer des Exodus. Viele flüchten erst im letzten Moment, haben nur das Allernötigste dabei. Die schnell aufrückende russische Front treibt die Menschen vor sich her. Trecks werden von Artillerie beschossen, Tiefflieger greifen an. Männern und Jugendlichen, die von der Roten Armee aufgegriffen werden, droht die Verschleppung. Als der Zusammenbruch von Staat und Ordnung über Kinder, Mütter und Großeltern hereinbricht, ist es für einen geordneten Rückzug zu spät. Das zivile Ostpreußen geht unter in der Flut eines versprengten deutschen Heeres, im Ansturm der überlegenen russischen Roten Armee.
Überlebende der Flucht aus Ostpreußen berichten: ... "Ostpreußen liegt hinter uns. Mit ganz unbeschreiblich dumpfem Schmerzgefühl blicken wir noch einmal nach der herrlichen, verlorenen Heimat zurück: Es dämmert, die bewaldeten Elbinger Höhen versinken – wir sind ohne Heimat.“
" ... Die furchtbare Heimsuchung, die die ehemaligen Ostgebiete und ihre Menschen erfahren haben, gehören auch zur Geschichte des Nationalsozialismus. Die Millionen Vertriebenen, all die dabei Umgekommenen, die nach Sibirien Verschleppten und die zwei Millionen vergewaltigten Frauen haben den Anspruch auf einen Platz im Gedächtnis der Nation. Vertreibung und das damit einhergehende Elend galten in Deutschland sehr lange als private Unfälle. Traurig für den Einzelnen, ohne Bedeutung für das Ganze.“ „Lange Zeit haben wir es nicht gewagt, unsere eigenen Toten zu betrauern. Wir haben um Russen, Juden, Sinti und Roma getrauert, aber nicht um unsere eigenen Mütter, Schwestern, Kinder. Dies hat mich immer sehr gestört, denn niemand glaubt uns so die Trauer um andere. Beides sind Opfer und verdienen unsere Anteilnahme. Solange in unserem Bewusstsein Anne Frank alleine dasteht und nicht auch die Wolfskinder, stimmt etwas nicht. Die Kleinen, deren Eltern umgekommen waren und die alleine in den Wäldern Ostpreußens und Litauens unter unvorstellbaren Bedingungen lebten und starben, dürfen wir ebenfalls nicht vergessen. Wer in diesem Zusammenhang von der Gefahr der Aufrechnung spricht, redet Unsinn.“
Tatsächlich wurde das Thema Flucht und Vertreibung in der Nachkriegszeit bis heute aus der öffentlichen Debatte fast ausgeblendet - obwohl etwa zwölf Millionen Deutsche flüchteten oder auf Beschluss der Siegermächte bei der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei vertrieben wurden.
Wolfskinder Als Wolfskinder oder wilde Kinder
bezeichnet man Kinder, die in jungen Jahren eine Zeit lang isoliert von Menschen aufwuchsen und
sich deshalb in ihrem erlernten Verhalten von anderen Kindern unterscheiden. Als Wolfskinder
bezeichnete man auch die in Ostpreußen und anderen Gebieten des Baltikums während des Zweiten Weltkrieges durch Kriegswirren elternlos gewordenen Kinder. Ständig auf der Suche nach Essen und Arbeit, zogen sie
bettelnd durchs Land. Nur wenige hundert Kinder überlebten, einige hatten
das Glück von litauischen und russischen Bauern aufgenommen zu werden, wo
sie jedoch oft wie Arbeitssklaven behandelt wurden. Viele Kinder vergaßen
ihren Namen und ihre Herkunft, oder hielten ihre Namen geheim, und
erhielten bald eine neue (polnische, litauische oder russische) Identität. Der Preis für das Überleben war hoch: Die
geretteten Kinder mussten ihren Namen und ihre Sprache vergessen, in
eine neue Haut und Identität schlüpfen. nach Wikipedia
Der Weg über die Ostsee
BILD: War die Flucht die Stunde der Frauen? Mussten sie für die Sünden der
Männer büßen?
"Zur Flucht fällt mir jene junge Frau ein, die mit einem Kinderwagen auf einer verschneiten Straße unterwegs war. Erschöpft blieb sie stehen, blickte in den Wagen und
fand ihr Kind tot. Sie schob den Wagen mit dem Kind in eine Tannenschonung und beeilte sich, den anderen auf dem Fluchtweg zu folgen. Zu den Fluchtbildern gehören auch Wäschestücke, Handtücher und Bettlaken, die in den Bäumen der Allee hingen.
Eine Granate hatte einen Flüchtlingswagen in Stücke gerissen.
Für einen weiteren Schrecken jener Tage, die Massenvergewaltigungen, fehlen die Bilder. Es geschah nicht sichtbar. Die Worte ,Frau komm´ sind für alle Zeiten für dieses Verbrechen verbraucht." Und doch gibt es Bilder wie eben das der toten Frau mit zerrissener Kleidung in einer Scheune; Bilder wie das des toten Mannes, der sich schützend vor Frau und Tochter stellen wollte und erschossen worden war - so erinnert sich Arno Surminski in schlichten, eher dürren Worten an die menschliche Katastrophe der Flucht der Millionen aus den deutschen Ostgebieten im Winter 1944/45 vor der Roten Armee.
Wolf von Lojewski (69) „Es waren die Frauen und Mütter, die uns alle damals gerettet haben. Die Flucht über das zugefrorene Haff Richtung Danzig war entsetzlich. Überall Tote, ins Eis Eingebrochene. Meine Mutter und meine Tante waren auf sich gestellt, die Männer an der Front, wir Kinder auf dem Pferdewagen. - Ich bin froh, dass der Film „Die Flucht“ die Leistungen der Frauen damals würdigt und ehrt. Meine Mutter starb vor einigen Jahren. Sie hätte sich bestimmt gefreut.“ Libussa von Krockow Loki Schmidt „Leider ist der Mut der Frauen in dieser Zeit nie angemessen gewürdigt worden. Die Frauen meiner Generation mussten damals Rollen übernehmen, die sie sich nicht ausgesucht hatten – als Anführerinnen in den Flüchtlingskolonnen, als Trümmerfrauen, als Lebensretter. Und sie haben Großartiges geleistet! Ich freue mich, dass dieser Film daran erinnert. Denn wenn es drauf ankommt, kämpfen Frauen nicht nur „wie ein Mann“, sondern wie zehn Männer!“
Sieger auf weichen KreppsohlenGegen Kriegsende kam das Grollen des Artilleriebeschusses in Arnsberg immer näher, man konnte es den ganzen Tag über hören. Die ersten hielten Ausschau nach weißen Laken, um ihre friedlichen Absichten zu dokumentieren. Wir verbrachten die meiste Zeit im Luftschutzkeller im Haus von Tante Änne und Onkel Karl, wo wir auch saßen, als es soweit war. Als die Amis kamen. Wir wussten nicht, was uns erwartete. Waren es Menschen, waren es Unmenschen? Die braune Propaganda hatte uns Schreckliches vorhergesagt. Und da kamen sie die Kellertreppe herunter: Menschen wie wir, freundliche Menschen, Gott sei Dank! Sie trugen nicht die Knobelbecherstiefel, wie die deutschen Soldaten, deren Schritte immer klangen wie ein eisernes rätsch-rätsch-rätsch-rätsch. Sie swingten durchs Leben auf weichen leisen Kreppsohlen, die klangen scht-scht-scht-scht. Das gefiel mir, auch ihre menschenfreundliche Art. Wahrscheinlich, so denke ich heute, hielten sie alle Deutschen für Nazis und ahnten nicht, wie die meisten von uns unter der braunen Schreckensherrschaft gelitten hatten.
Foto: Die Amis waren Menschen wie wir, freundliche Menschen, Gott sei Dank!
In den Tagen des Einmarsches blieben sie sehr vorsichtig und wachsam, weil sie in den Häusern versteckte deutsche Soldaten befürchteten. Es wurde eine Ausgangssperre für die Zeit zwischen 18 Uhr abends bis zum nächsten Morgen um 8 verhängt. Damals gab es eine viel belachte Episode in Arnsberg, als ein altes Frauchen in aller Herrgottsfrühe noch während der Sperrstunde ihren Ofen anheizte, weil es ein kalter unfreundlicher Märztag war. Pantoffeln an den Füßen, in Nachthemd und Strickjacke schüttete sie die Herdasche in die Mülltonne am Haus. Und das bei stürmischem Wetter. Ein paar amerikanische Soldaten robbten daraufhin, in voller Deckung und mit schussbereiter MP, Richtung Abfalltonne. Da sahen sie nun, wovor sie sich gefürchtet hatten: ein vor Kälte und Angst zitterndes Mütterchen! Sie hatten Geräusche gehört und die weithin sichtbare Staubwolke aus dem Aschenkasten wohl als Hinweis auf eine Explosion oder einen Brand gedeutet...
Amerikanische Soldaten ziehen in eine zerstörte deutsche Stadt ein, "auf weichen Kreppsohlen", bestaunt von einer etwas ratlosen alten Frau. Foto: WAZ, Archiv Glaser
Und wie sie ihre Jeeps fuhren, echt artistisch, besonders die dunkelhäutigen Amerikaner! Sie kauten Kaugummi, sausten wie wahnsinnig um die Kurven, und hatten dabei noch die Beine aus dem Autofenster hängen. Wie waren wir erleichtert und glücklich! Der Krieg war zu Ende für uns, endlich! Nun konnten wir ohne Sorgen schlafen, sicher wie in Abrahams Schoß.
|