1945: Gegen Kriegsende


 

Aus dem stillen Raume . . .

Bei Onkel Karl in Arnsberg lernte ich damals, mit 6 Jahren, Noten lesen und die ersten Stückchen auf dem Klavier spielen: Summ, summ summ, Bienchen summ herum, und Mädchen, warum weinest du und Lang, lang ist's her. Alles Stücke aus einem alten Notenheft meiner Mutter, kaufen konnte man sowas nicht, damals. 

Es war doch Krieg, und das Wort "In Friedenzeiten" hatte einen geradezu magischen Klang. Es kursierte ein Gedicht: "Wenn die Bratendüfte durch die Häuser ziehn, dann ist Frieden in Berlin" . Ein Märchen aus einem Land, in das wir nicht gelangen konnten. 

Die Blümelein, sie schlafen und Weißt du, wieviel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt? und Guter Mond. Das sind Klänge meiner Kindheit. Sie beschwören Abendfrieden und Geborgenheit nach einem fröhlichen Kindertag. So wie das Lied Ich hatt' einen Kameraden Trauer und Wehmut um Verlorenes beschwört. Es wurde gesungen, wenn Soldaten im Krieg gefallen waren, und als wir meinen Vater zu Grabe trugen. 

 



Ohne mir dessen bewusst zu sein liebte ich schon damals den Swing, ahnte nicht, dass er in der ganzen Welt ein Symbol der Freiheit und des Widerstandes war. 

Er wurde uns madig gemacht als "Negermusik", so wie ausländische Gewürze z.B. Pfeffer, Muskat, Zimt - genauso köstlich wie der Swing - angeblich ungesund waren. Weil man sie nicht mehr bekommen konnte in Deutschland. 

 

"Diktatoren swingen nicht ..." (Joachim Ernst Berendt, dtsch. Musikjournalist, 1923-2000)


Vera Lynn sang in England: "There'll be bluebirds over / the white cliffs of Dover", am 1. August 1939 wurde das swingende In the Mood von Glenn Miller in einem Plattenstudio in den USA aufgenommen. Einen Tag später, am 2. August 1939, sang in Deutschland Lale Andersen das einfache, volksliedhafte Lili Marleen auf Schallplatte. 

Bis heute ist es die heimliche Hymne der Frontsoldaten in aller Welt, schon im 2. Weltkrieg in 27 Sprachen gesungen. Im Vietnam-Krieg tröstete AFN (American Forces Network) sogar noch die amerikanischen Soldaten damit! Zuerst von den Nazis wohlwollend geduldet und jeden Abend vom "Besatzungssender Belgrad" als Zapfenstreich gespielt und bis nach Nordafrika ausgestrahlt, ab 1942 schon etwas hellhöriger registriert und schließlich - es tobte die Schlacht um Stalingrad - verboten. 

Das "Lied eines jungen Wachtpostens" hat einen anrührenden, beinahe surrealen Schluss, der sicher nicht für siegreiche "Herrenmenschen" passte:



 

Lili Marleen

(...)
Und sollte mir ein Leids geschehn,
wer wird bei der Laterne stehn
mit dir, Lili Marleen?

Aus dem stillen Raume,
aus der Erde Grund
hebt mich wie im Traume
dein verliebter Mund.
Wenn sich die späten Nebel drehn,
werd ich bei der Laterne stehn
wie einst, Lili Marleen.



Worte und Zeichnung: Hans Leip 
( ... wie Lili es geschafft hat, sich den Kopf in der Laterne einzuklemmen, wird wohl immer ihr Geheimnis bleiben)



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