Weinen und Lachen ... |
So KÖNNTE es gewesen sein:Paul geht 22jährig im Dezember 1911 in Rotterdam NL an Bord
des Dampfschiffs "Potsdam", Holland-Amerika-Linie. Foto oben und letztes auf dieser Seite:
Die Gegend erlebt gerade eine
wirtschaftliche Blüte und einen Bauboom. Drei Jahre zuvor war Connellsville zur Stadt ernannt worden,
zur ersten Stadt in
Fayette County. Paul arbeitet an der Planung von Regierungs- und Verwaltungsgebäuden.
Abb. : In Uniontown Anfang der 1900er, www.antiquephotographics.com
Er wohnt aber wahrscheinlich in dem kleinen Ort Owensdale ganz in der Nähe, wohin es eine Zugverbindung gibt, die er wohl täglich benutzt. Warum?
Vielleicht wohnten dort Kollegen, oder die Miete war niedriger, oder es sagte ihm die ruhige Lage zu. Durch seine herzliche Art schließt er schnell Freundschaften. Er gewinnt Selbstbewusstsein ("Liebe Eltern, habe ich mich nicht gut gehalten?"), sicherlich durch beruflichen Erfolg und durch seine Tüchtigkeit. Er ist nun ein attraktiver junger Mann.
Foto: Paul mit etwa 23 Jahren auf der Fahrt in die USA
Jahrelang konnte ich mir nicht erklären, wie das alte schemenhafte Foto oben zustande kam. Anscheinend trägt Paul einen flotten Hut? Oder ist das dunkle Rund etwa ein Bullauge? Was für ein seltsames Muster verziert dann die Wand hinter ihm? Sieht fast aus wie Meereswellen. ... Ja, es sind Meereswellen! Und Paul trägt keinen Hut, er steht auch nicht vor einem Bullauge sondern auf Deck vor einem Lüfter, der den Laderäumen und den verschiedenen Decks im Bauch des Ozeanriesen Frischluft zuführt und verbrauchte Luft austauscht (wie auf der Fotomontage links, dahinter die See). Wahrscheinlich hielt der Bordfotograf der "Potsdam" diese Bildkomposition für eine gute Idee, mit Recht!
Die ganze Zeit über hält Paul brieflichen Kontakt mit seinen Eltern und seinen Brüdern. (Seine einzige Schwester Martha war 1911, im Jahr seiner Abreise, 16-jährig an Diphtherie gestorben.) Der Ton seiner Briefe und Karten ist liebevoll und lässt auf eine enge Bindung an seine Familie schließen. - Im Dezember 1913 stirbt seine Mutter 54jährig in Dortmund. Ob und wann Paul davon erfahren hat, wissen wir nicht. ("Bitte, schreibt mal wieder! Ich habe so lange nichts von euch gehört.")
Foto: Connellsville im Schnee, Anfang der 1900er Jahre
Pennsylvania hat ein feuchtes Kontinentalklima: große Temperaturunterschiede liegen zwischen Sommer und Winter, in Extremwerten etwa zwischen +40° bis -40° Celsius. Die Winter in Pennsylvania, insbesondere in der Gegend von Pittsburgh, sind schneereich und dauern lange. Als Paul knapp drei Jahre in Pennsylvania gelebt hat, erkrankt er im November/Dezember des Jahres 1914 schwer. Er hatte sich bei einer Autofahrt erkältet. Damals wütet in dieser Gegend eine Grippe-Epidemie, eine der vielen Varianten der gefährlichen Influenza oder kurz Flu, wie man aus den Zeitungsarchiven erfahren kann. Diese Grippe führte meist zu einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung, so auch bei Paul. Er stirbt im Dezember 1914 mit 25 Jahren und wird wahrscheinlich auf einem der drei kleinen privaten Friedhöfe in Owensdale beigesetzt. Möglicherweise wird sein Tod nicht ins SSDI (Sterberegister) eingetragen, wofür es verschiedene Gründe geben kann. Sie sind an anderer Stelle aufgeführt. (siehe Kapitel "Listen für Lebende und Tote") Entscheidend für das Fehlen jeglicher Registrierung seines Todes ist sicher auch, dass er weder eine Witwe noch Kinder hat, die evtl. eine Hinterbliebenen-Rente von seiner Versicherung beantragten.
Vier Monate vor Pauls Tod, im August 1914, brach der erste Weltkrieg (1914-18) aus. Deutschland kämpfte gegen England, Frankreich, Russland, später auch gegen die USA.. Schon vorher war der Brief- und Funkverkehr mit Amerika für jetzige Verhältnisse schwierig und zeitraubend. Wie es scheint, kam alle paar Monate eine Karte oder ein Brief von Paul bei seinen Eltern an, ebenso umgekehrt. Telefongespräche in Gang zu bringen, war extrem kompliziert. Sie wurden handvermittelt, dazu war die Verständigung mit dem "Operator" in einer Fremdsprache schwierig. Paul hat sich sicher oft einsam gefühlt, seine Familie wird ihn ebenso bitter vermisst haben. (Heute ist alles anders. Telefonate mit Übersee sind so einfach wie ein Ortsgespräch. Und es gibt die Möglichkeiten des WorldWideWeb mit seinen weltweit abrufbaren Informationen und Suchmaschinen. Man kann sekundenschnell E-mails abschicken und entgegennehmen, kann um den ganzen Erdball chatten, kann bei "Videokonferenzen" seinen Gesprächspartner sogar sehen, auch wenn er in Pennsylvania, Kalifornien oder in Iowa sitzt.... das alles hätte man damals sicherlich für utopische Spinnereien gehalten.)
Nach Kriegsausbruch 1914 ist Deutschland mehr oder weniger völlig
von jedem
Nachrichtenaustausch mit dem Ausland abgeschnitten. Wann wird Pauls
Familie von seinem Tod erfahren haben? Seine drei Brüder mussten inzwischen
Studium und Berufsausbildung abbrechen und sind
Soldaten geworden. Der 62-jährige Vater Heinrich Marnach arbeitet
nach den Jahren
an der "Aplerbecker Hütte" wieder freiberuflich als "Civil-Ingenieur". Er wohnt in Dortmund im "Kreuzviertel", zu dem auch der "Südwest-Friedhof"
gehört, wo er im Jahr zuvor seine
Frau Maria begraben musste. Die einstmals heile Familie ist
nun auseinander gerissen und in
alle Winde zerstreut.
Foto: Pauls Familie im
ersten Weltkrieg
So ist es erklärlich, dass man später
über Pauls Schicksal nur weiß:
Foto: Einsame Gräber, irgendwo am Waldrand in den USA. Ähnlich wird Pauls Grab ausgesehen haben. "Die Gräber lagen direkt neben dem Grundstück, in einer Reihe am Zaun entlang .. am Waldrand entlang ... " So werden solche Friedhöfe beschrieben. - Die Gegend von Owensdale, PA wird in den 30ern durch Kohle-Tagebau verwüstet und entstellt. Die drei kleinen Friedhöfe dort sind wahrscheinlich längst verschwunden. Bis heute konnten wir Pauls Grab nicht auffinden.
Alone
we are born Epitaph des Dichters Jim Baxter, 1926-1972
|