1940-1945: Bombenterror


 

Meine Mutter, das Improvisationsgenie 


Der praktische Verstand und die Fantasie der Frauen während des Krieges, das war wirklich ein Trost damals! Sie mussten ja nicht nur für sich selbst, sondern für ihre Kinder und für die ganze Familie mitdenken. 

So improvisierte meine Mutter (Foto rechts):

  • sie briet Reibekuchen in Lebertran, ("Wenn man ein Brotkrüstchen mit in die Pfanne gibt, verschwindet der Trangeschmack!"), 

  • sie kochte dreckigen gelben Pferdezucker auf, um den Dreck rauszufiltern, 

  • sie knetete unter die kostbare Butter ein Gläschen Wasser oder ein paar Löffel Griesbrei, um sie zu strecken, 

  • stellte verfrorene ekligsüß-schmeckende Kartoffeln ein Zeitlang in Wasser, bis sie nicht mehr "verfroren" schmeckten. 

 


  • Sie strickte aus dem kratzigen Garn der Zuckersäcke Kniestrümpfe - mit Zopfmuster! - 

  • und wendete Papas alten warmen Wintermantel auf links, um mir eine Jacke mit passendem Rock daraus zu nähen. 

  • Dunkelrote Samtvorhänge, Überbleibsel aus der Plüsch- und Pleureusen-Zeit, wurden zu einem wunderbaren Kindermäntelchen mit passendem Schutenhut, den ich hasste wie die Pest. 

  • Und zu kurz gewordene Röckchen wurden 2, 3mal mit angesetzten Stoffstreifen verlängert. "Nun ist es ein Bordüren-Rock", sagte Mama hinterher. 

 

 

Foto : 

Mein Freund Hänschen Kuhlmann und ich - mit der verhassten Schute auf dem Kopf - bringen Sachen zur Wollsammlung am Schalker Markt.

 


 

Nach dem Krieg dann, als die Hungersnot am größten wurde, machte meine Mutter, inzwischen Witwe geworden, mit mir zusammen ein von Bombentrichtern übersätes Gartengrundstück in Gelsenkirchen urbar und baute dort Melde, Stangenbohnen, Möhren, Rosenkohl, Kartoffeln und Kürbis an. 

Kohlsetzlinge wurden bei den Nachbarn gegen Rote-Beete-Pflänzchen getauscht, Lobsprüche ausgeteilt - "Ihre Erbsen stehen echt so kerzengerade wie die Rotarmisten!" - und Gärtnerlatein verzapft: "Für geschenkte Pflanzen darf man sich nicht bedanken, sonst gehen sie nicht an. Am besten wachsen sowieso nur geklaute!" 

Die medizinballgroßen Kürbisse wurden uns leider wirklich gestohlen, wahrscheinlich hatten sie zu strahlendgolden die Vorübergehenden  angelacht. Neben einem alten Brunnenschacht in unserem Garten wuchsen wunderschöne Iris (Grafik rechts: alte Garteniris), die ich später niemals wieder so prächtig gesehen habe, mit je 3 abwärtsgebogenen lavendelblauen, und 3 aufwärtsgerichteten cremefarbenen, purpurngeäderten Blütenblättern. "Das Geheimnis der Dreifaltigkeit" nennt Hermann Hesse die Iris, vergleichbar mit dem 3-blättrigen Kleeblatt, dem "shamrock" der Iren.

 


Liebesgrüße aus dem Fausthandschuh 

In der Zeit des Russlandkrieges fanden die tüchtigen Frauen sogar noch warme Stoffreste, um für die Soldaten daraus Fausthandschuhe zu nähen und "Kopfschützer", die unter dem Stahlhelm getragen wurden. Aus aufgeribbelter Wolle strickten sie warme Pullunder, sog. "Seelenwärmer". Damit die Männer heil durch den gnadenlosen russischen Winter kamen und nicht erfroren. 

Einige junge Mädchen hefteten Zettel mit ihrem Namen und ihrer Adresse an einer versteckten Stelle in die Sachen ein, um vielleicht eine Brieffreundschaft mit einem feschen Landser anzuknüpfen. 

Aus dieser romantischen Idee wurde nichts. Wir hörten später niemals mehr davon. Wer weiß, wo die Sachen geblieben sind?! Vielleicht gerieten die Transporte in Brand? Oder sie fielen kyrillisch-schreibenden Russen in die Hände? Die konnten keine "Liebesgrüße aus dem Fausthandschuh" in deutscher Schrift entziffern. Und schon gar nicht beantworten.

 

Plakat von 1944, das für die Kleidersammlung wirbt


< Das Veilchen Fialka

Josef, larger than life >

| Titelseite dieser Geschichte | Titelseite aller Geschichten |