1945: Gegen Kriegsende 


 

Der Friedhof am Eichholz


Im Jahr 1944 starben in Arnsberg im Februar meine Großmutter und im Dezember mein Vater. Sie wurden auf dem Arnsberger Friedhof am Eichholz begraben, "ohne Hakenkreuzflagge auf dem Sarg!" Darauf hatte meine Mutter mutig bestanden, denn dazu gehörte damals schon eine Portion Mut. 

In den ersten Monaten des Jahres 45 gingen auf den Friedhof einige Luftminen nieder und durchpflügten die Gräberreihen. Grabsteine, Leichen, Särge, Totengebeine, Sargdeckel, Leichenwäsche lagen in einem grauenhaften Chaos umher, Totenhemden hingen in den zerfetzten Bäumen. Unsere Gräber blieben zum Glück verschont. - 

 


 

Hier ist anzumerken: Auf diesem gleichen Friedhof musste nach Kriegsende mein Onkel Karl, als Mitläufer eingestuft, zur Strafe für seine braune Vergangenheit Gärtnerarbeiten leisten. Das kam nach seinen Erzählungen so: 

In einer Entnazifizierungsverhandlung wurde er von einem Juden verhört. Das Schicksal der Juden tut mir von Herzen leid. Was ich damals als Kind über sie wusste, war wenig. Manchmal sah man Menschen auf der Straße, die den gelben Davidsstern trugen. Persönlich kannte ich keinen einzigen, wahrscheinlich waren damals schon die meisten deportiert. Die verlogene Nazi-Version lautete ja: sie sollten alle zusammen in ihr Land gebracht werden, um dort in eigener Verwaltung zu leben... 

Der Verhörende fragte also, welche Musik mein Onkel Karl mit seinem braunen Musikkorps gespielt habe. Auch Onkel Karl war Musiker, genau gesagt Geiger und Kapellmeister. Er zählte also wohl oder übel wahrheitsgemäß auf: Das Deutschlandlied, Die Fahne hoch, Wir wollen weitermarschieren, Es zittern die morschen Knochen, Denn wir fahren gegen Engelland... Bei jedem Titel gab ihm der andere einen kräftigen Tritt in den Hintern. 


 

Das Ende vom Lied war: mein Onkel musste auf dem verwüsteten Friedhof am Eichholz arbeiten und nutzte diese Tätigkeit, um nebenbei aus Hunger Schnecken aufzulesen, aber nicht delikate Weinbergschnecken sondern eklig-schleimige nackte Wegschnecken, die ihm aus der Tasche entkamen und dann über seinen Mantelkragen und seinen Hut krochen. Ich fand das eigentlich recht lustig, aber meine Mutter war entsetzt über seinen irrwitzigen Anblick. - 

Aus Not sammelten wir später in Arnsberg auch Giersch und Brennesseln, um ein spinatähnliches Gemüse daraus zu kochen, lasen Bucheckern auf, oder Ähren von abgeernteten Feldern, oder wir klauten den Bauern Kartoffeln und Kappes vom Feld.

 

Foto oben: Hier sammle ich noch Ostereier mit Onkel Karl. Er trägt aber schon dasselbe Hutmodell, auf dem die Schnecken später ihre lustigen Spaziergänge unternahmen.


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