1945: Gegen Kriegsende


 

Büblein, wirst du ein Rekrut . . .


Im Schulunterricht gab es "Musik für Männer" und deren kriegerische Ideale, wie Jung Siegfried war ein stolzer Knab oder Die blauen Dragoner, sie reiten oder Wer will unter die Soldaten. Und "Musik für Mütter", die Hitler "Kinder schenken", d.h. Soldaten liefern sollten. Das blieb natürlich lieber unausgesprochen und wurde romantisch verbrämt: Wenn eine Mutter ihr Kindlein tut wiegen, und Hohe Nacht der klaren Sterne. Hitler, O-Ton: "Es gibt keinen größeren Adel für die Frau, als Mutter der Söhne und Töchter eines Volkes zu sein" . . . 

Und "Lieder für Deutschland"; denn es gab Kein schöner Land in dieser Zeit... Sogar der Rübezahl als Schutzpatron aller Faschos wurde angerufen, damit er die Keule schwinge gegen die Feinde des Landes: Hohe Tannen weisen die Sterne! Die Kampflieder der braunen Horden brüllten: SA marschiert 2! 3! in ruhig festem Schritt tatata-tam! oder die Soldatenlieder Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein 2! 3! 4 ! und das heißt 2! 3! 4! Eeeeerika! und Denn wir fahren gegen Engelland! 

Ich mochte nicht das stampfende, diktatorische 1!2!3!4! dieses Marschierens. Zu Siegesberichten und Sondermeldungen ertönten heroische Klänge: Wagners Walkürenritt oder Les Preludes von Liszt. Peinlich bombastisch im Angesicht der vielen Toten!

 


 

 

Foto: Soldatenschicksal . 

Ein Gemälde, das mein Vater 1943 in einem Schaufenster an der Bahnhofstraße in GE knipste, als in Russland die Schlacht um Stalingrad tobte.



 

Und dann die Stimmen im Radio! Die Frauenstimmen tremolierend und schrill ("Die Tante hat Hunger!" sagte mein Vater. Vielleicht war die Tontechnik noch zu unvollkommen.). Die Männerstimmen meist hohe Tenöre (Heimat, deine Sterne . . ) 

Die legendären "Comedian Harmonists" (Veronika, der Lenz ist da!) waren damals längst verboten. 3 ihrer Mitglieder waren Juden. Zudem machten sie Musik, die nicht zum Marschieren, sondern zum Tanzen verführte, sog. "volksfremde" Musik: Der Onkel Bumba aus Kalumba tanzt nur Rumba. Die Nazis hatten ihnen im Februar 1935 Auftrittsverbot erteilt. 

Aber es gab zahllose andere, inzwischen längst vergessenen Gesangsquartette. Ihr Sound ist in meiner Erinnerung eng verbunden mit "Einkauf bei EHP", dem Billig-Warenhaus an einer Straßenecke beim Schalker Markt, (das große Gebäude auf dem Trümmerfoto, S. 29)). Dort war schon in den 40ern verkaufsfördernde Muzak aus quäkenden Lautsprechern angesagt. 

Ich stellte mir die Sänger vor als geklonte (den Begriff gab es damals natürlich noch nicht!), munter einhermarschierende Optimisten in Faconhaarschnitt, austauschbar und ein bisschen abgedroschen und zweitklassig, genau wie dieses Warenhaus. 

 



Dann waren da noch die deutschen Volkslieder, beseelt und schlicht, oft missbraucht von den Nazis, und später dann von rechten Gruppierungen. 

Frauen, die früher der Jung Mädel Schar (JMS) angehörten, erinnern sich noch heute gern an die allwöchentlich stattfindenden Treffen am Nachmittag, wo sie handarbeitend, lesend und liedersingend zusammensaßen. "Es waren so schöne Weisen, Ännchen von Tharau, Es tönen die Lieder, Im schönsten Wiesengrunde ... Wir freuten uns jede Woche darauf. Und die Geschichten, die man uns vorlas! Zugegeben, manche waren echte Nazi-Schmonzetten. Hitlerjunge Quex und so. Aber andere ... Ich war ganz wild darauf! Wir waren zu arm, um Bücher zu kaufen."

Sicherlich waren diese Treffen nur dazu bestimmt, die Jugend zu indoktrinieren und sie an pseudo-religiöse Handlungen wie "Andacht vor dem blumenumkränzten Hitlerbild" und "Fahnengruß mit Sieg-Heil" und ähnliches Brimborium zu gewöhnen. 

Die Nazis konnten aber nicht verhindern, dass die Lieder und Geschichten die Menschen verzauberten. Ganz ohne braune Ideologie.



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